Ein Interview mit Katrin Sasse:
In unserer dynamischen Arbeitswelt, die von Fachkräftemangel und neuen Anforderungen durch den Einsatz von KI geprägt ist, gibt es zu persönlicher Entwicklung keine Alternative. Denn wenn Menschen sich durch Trainings besser kennen lernen, können sie sich verändern und Potenziale ausschöpfen
Head of Executive- und Business Coaching Katrin Sasse erklärt, warum viele Führungskräfte zurzeit überlastet sind – und wie sie wieder mehr gestalten können, indem sie sich die Zeit nehmen, das eigene Verhalten zu hinterfragen, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren, Mitarbeitende besser zu verstehen und mitzunehmen.
Wie nimmst du in deiner Funktion als Organisationsberaterin und Executive Coach die aktuellen Entwicklungen auf dem Markt in den letzten Monaten, insbesondere im Hinblick auf den Herbst, verstärkt wahr?
Die täglichen Nachrichten über Kriege, Klimakatastrophen und Flüchtlingsströme, schlechte Wirtschaftsdaten und negative Prognosen verunsichern Menschen und binden Kraft. Vor der Pandemie war Arbeit die zentrale Aufgabe für viele Führungskräfte. Das Privatleben war – abgesehen von anspruchsvollen Lebensphasen wie Familiengründung und Anschaffung von Eigentum – für viele ein Bereich, in dem sie wieder auftanken konnten.
Heute müssen sie zusätzlich emotionalen und Leistungseinbrüchen von Mitarbeitenden entgegenwirken. Diese vielen Herausforderungen führen bei vielen zu Überforderung und Abwehrreaktionen.
Wie gehen Führungskräfte damit um?
Leider nehmen sich viele zu wenig Zeit zur Selbstreflexion ihrer Gefühle und Verhaltensweisen. Sie stehen derartig unter Druck und sind gerade jetzt so auf die Jahresziele fokussiert, dass sie entweder nicht darauf kommen oder sich nicht trauen, die Zeit und Raum zu geben. Häufig fühlen sie sich weniger belastbar als früher, was zusätzlich verunsichert und mitunter sogar lähmt.
Resilienz, Fokussierung auf die Jahresziele, ergebnisorientierte Handlungen sinkt.
Was kann Business Coaching in dieser Situation leisten?
Business Coaching in diesen Zeiten in Anspruch zu nehmen, bedeutet, sich auf seine Stärken zu konzentrieren, Situationen und das eigene Verhalten von sich selbst wie das der Mitarbeitenden und Kolleginnen und Kollegen besser zu verstehen und damit auch wieder mitgestalten zu können. Insgesamt steigt dadurch die Wahrnehmung der eigenen Selbstwert und –Wirksamkeit, die immer eine Kraftquelle für Denk-, Fühl und Handlungsweisen ist.
Welche Kriterien sind bei der Wahl eines Business Coaches besonders zu beachten?
Immer mehr Menschen lassen sich seit der Pandemie zum Coach ausbilden. Die
zeitlichen und inhaltlichen Rahmen dieser Ausbildungen sind allerdings sehr unterschiedlich. Deshalb würde ich immer Coaches empfehlen, die den Nachweis einer zertifizierten und anerkannten Ausbildung haben bzw. auch Mitglied eines anerkannten Verbandes sind.
Ich halte es für unabdingbar, dass die „Chemie“ zwischen Klientin oder Klient und Coach stimmt, damit ein vertrauensvolles und erfolgreiches Coaching auf Augenhöhe durchgeführt werden kann. Deshalb sollten KlientInnen auf ihr Bauchgefühl bei der Auswahl der Coaches achten vertrauen.
Wieso ist es sinnvoll, sich als Führungskraft externe Unterstützung zu suchen? Oder sollte eine Führungskraft sich nicht selbst coachen können?
In herausfordernden und schwierigen Situationen tut es Führungskräften gut, einen Boxenstopp einzulegen, um sich und die eigene Position zu analysieren und zu hinterfragen. Nur wenn die Führungskraft sich selbst sehr gut kennt, kann sie Mitarbeitende positiv unterstützen und sie durch anspruchsvolle Zeiten wie diesen begleiten. Führungskräfte sollten sich Fragen wie diese selbst beantworten können:
- Wie reagiere ich in Konfliktsituationen? Weshalb machen mich bestimmte Situationen mehr betroffen als andere?
- Alternative: Was lösen die aktuellen unsicheren Zeiten in mir aus?
- Welche Ängste kommen in mir hoch und wie kann ich diesen begegnen?
- Was bedeutet das für mich oder auch für meine MitarbeiterInnen?
Letztendlich wird durch ein individuelles Coaching die Selbsterkenntnis jedes Einzelnen und damit auch die Selbststeuerung gefördert.
Was bedeutet Business Coaching bzw. Executive Coaching konkret im Daily Business?
Katrin: Themeninhalt und Auftragsklärung werden mit dem Kunden besprochen, im Idealfall zusätzlich noch durch die Ergebnisse einer Potenzialanalyse ergänzt und eine Auswahl passender Coaches vorgeschlagen. Je nach Themeninhalt des Coachings variiert der vorgeschlagene Zeitrahmen. Ziel ist es, anhand der Kompetenzen und Persönlichkeitsstruktur ein optimales „Match“ zwischen Coach und KlientIn zu erreichen. Unser Coachingprozess läuft idealerweise folgendermaßen ab:
Vorab-Phase (Phase 1)
- Auftragsklärung zwischen Vorgesetzten/HR und Pawlik
- Definition Coachingumfang
- Auswahl Coach (aus einem Coach-Pool mit unterschiedlichen Standorten)
Coaching-Prozess (Phase 2)
- Zielklärung zwischen Coach, Klientinnen, Vorgesetzten/HR
- Einbeziehung der Ergebnisse der Potenzialanalyse (sofern vorhanden)
- Durchführung des Coachings
- Einbeziehung von konkreten Umsetzungsaufgaben zur Festigung des
veränderten Verhaltens
- Abschlussgespräch/Bericht (bei M und L) zwischen Coach, Klientinnen,
Vorgesetzten/HR
Wie relevant und sinnvoll ist es jetzt noch in 2024 ein Business Coaching zu beginnen?
Es macht Sinn das Jahr 2024 mit einer kleiner Coachingeinheit zu reflektieren und die Ziele für 2025 und damit verbundenen Handlungsschritte zu definieren. Darüber hinaus lohnt es sich, auch mögliche Gefahrenquellen zu analysieren, um auf diese vorbereitet zu sein und ihnen erfolgs- und zielorientiert entgegnen zu können.
Was sind die größten Stolpersteine für Führungskräfte bei der Balance zwischen operativen Aufgaben und Personalführung und wie können sie dem entgegenwirken?
Der größte Fehler ist, ständig im Hamsterrad weiterzulaufen: Führungskräfte sollten sich Zeit nehmen, um innezuhalten, nachzudenken und sich zu reflektieren.
Was begeistert dich jeden Tag aufs Neue für deine Klienten zu arbeiten?
Ich bin absolut davon überzeugt, dass viele unerkannte und ungenutzte Potenziale in uns Menschen liegen. Dieses gilt es im Coaching freizulegen, durch den Klienten erarbeiten zu lassen und ihn bei seiner Entwicklung zu begleiten. Die verschiedenen Persönlichkeitsstrukturen von Menschen faszinieren mich. Die positive Veränderung von Gefühlen, Gedanken und Handlungsmustern ist mein Motor meiner Arbeit.
Wie stellst du sicher, dass du über die neuesten Entwicklungen in deiner Branche auf dem Laufenden bleibst und dich kontinuierlich weiterbildest?
Ich lese viel, bin Mitglied des DBVC und IOBC, suche den Austausch mit KollegInnen in der Intervision, fachlichen Austausch und nehme an Kongressen teil.
Welchen Rat würdest du Geschäftsführern für den Endspurt des Jahres mit auf den Weg geben?
Sich genügend Zeit zu nehmen, um das Jahr 2024 zu reflektieren und in sich zu gehen. Und sich mit dem Thema des Psychischen Hygienefaktors und psychologischer Sicherheit auseinanderzusetzen.
Autos werden regelmäßig inspektiert und Betriebssysteme gewartet, Vorsorgeuntersuchungen wahrgenommen – doch für den Psychologischen Hygienefaktor wird zu wenig getan.
Psychische Hygienefaktor: Der Begriff psychischer Hygienefaktor stammt aus der Zweifaktorentheorie von Frederick Herzberg und bezieht sich auf Bedingungen am Arbeitsplatz, die verhindern, dass Unzufriedenheit entsteht.
Psychologische Sicherheit: bezeichnet in der Arbeitspsychologie ein Klima in Teams oder Organisationen, in dem sich die Mitglieder sicher fühlen, ihre Meinung frei zu äußern, ohne Angst vor negativen Konsequenzen wie Kritik, Zurückweisung oder Bestrafung. Es beschreibt das Vertrauen, dass Fehler, Fragen oder abweichende Meinungen nicht zu Sanktionen führen, sondern als Lern- und Wachstumschancen betrachtet werden.
Was bedeutet gesunde Führung im Unternehmenskontext?
Gesunde Führung ist ein Führungsstil, der ein Arbeitsumfeld schafft, in dem es nicht nur auf das Erreichen der Unternehmensziele ankommt, sondern der Blick auch auf die physische und psychische Gesundheit gelegt wird. Auch das Thema Job Crafting – Im Kern die eigene Arbeit selbstbestimmt zu gestalten – wird bei einem gesunden Führungsstil gelebt.
Job Crafting bezeichnet den proaktiven Prozess, bei dem Mitarbeitende ihre Arbeit aktiv gestalten und anpassen, um sie besser an ihre eigenen Stärken, Interessen und Bedürfnisse anzupassen.
Woran erkennst du, dass ein Coaching erfolgreich abgeschlossen ist?
Ein Coaching ist dann erfolgreich, wenn die definierten Ziele erreicht wurden und der Klient spürbare Fortschritte erlebt. Dies kann sich durch eine verbesserte Leistungsfähigkeit, mehr Resilienz oder eine positive Veränderung der Denkweise zeigen. Der Erfolg wird oft erst später und langfristig voll sichtbar.
Warum ist es aus unternehmerischer und wirtschaftlicher Sicht lohnenswert, in Führungskräfte-, Vertriebs- und Leadership-Trainings zu investieren?
Ein Coaching von Führungskräften kommt nicht nur dem einzelnen, sondern letztlich dem gesamten Unternehmen zugute. Die heutige Zeit fordert ein neues Führungsverständnis, bei dem der Mensch im Mittelpinkt steht. Wenn Führungskräfte sich besser verstehen lernen, können sie sich weiterentwickeln und auch ihre Mitarbeitenden voranbringen.