In einer Zeit, die geprägt ist von politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen, wird der Wert der Toleranz zunehmend herausgefordert. Der 16. November, der Internationale Tag der Toleranz, erinnert uns an die Relevanz dieses Begriffs und an die Notwendigkeit eines offenen und respektvollen Miteinanders. Seit der Einführung dieses Tages 1996, basierend auf der UNESCO-Erklärung von 1995, soll das Bewusstsein für die Bedeutung der Toleranz gefördert und jeder Einzelne dazu ermutigt werden, seinen persönlichen Beitrag für eine tolerante Gesellschaft zu leisten.
Die Bedeutung und Entstehung von Toleranz
Der Begriff Toleranz stammt vom lateinischen „tolerare“ und bedeutet „erdulden“ oder „ertragen“. Diese begriffliche Herkunft verweist bereits auf die Herausforderung, die Toleranz oft darstellt:
Es handelt sich nicht um das aktive Annehmen, sondern um das passive Dulden anderer Ansichten und Handlungen, die man persönlich nicht teilt oder gar ablehnt. Die UNESCO erklärte 1995 die Prinzipien der Toleranz, die heute eine wesentliche Grundlage für eine friedliche und pluralistische Gesellschaft darstellen. Der Internationale Tag der Toleranz erinnert uns jedes Jahr daran, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt und Verständigung ohne eine solche Grundhaltung kaum möglich sind.
Toleranz und Akzeptanz: Eine notwendige Unterscheidung
Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die Begriffe Toleranz und Akzeptanz oft synonym verwendet. Eine wissenschaftliche Betrachtung zeigt jedoch, dass beide Konzepte differenziert betrachtet werden müssen. Während Akzeptanz das aktive Annehmen und Anerkennen umfasst, bleibt Toleranz in einer passiven Haltung verhaftet. Der Tolerierende muss sich nicht in seiner Meinung ändern oder etwas aktiv gutheißen; vielmehr hält er eine abweichende Position aus, auch wenn diese seine eigenen Überzeugungen und Werte infrage stellt. Toleranz beginnt dort, wo eine Haltung nicht geteilt oder verstanden wird – ein Vorgang, der Kraft und Energie kosten kann, aber für das gesellschaftliche Zusammenleben essenziell ist.
Die Herausforderungen der Toleranz in der Demokratie
Die Fähigkeit zur Toleranz ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer pluralistischen Demokratie. Sie verlangt eine diskursive Gemeinschaft, in der rationale Argumentation und das Verständnis für die Positionen anderer die Basis bilden. Die Demokratie muss vielfältige Meinungen und Überzeugungen aushalten, auch wenn diese umstritten sind oder nicht mit der eigenen Weltanschauung übereinstimmen. Solange diese Meinungen nicht gegen grundlegende Gesetze oder Menschenrechte verstoßen, müssen sie toleriert werden. Der gesellschaftliche Diskurs und die Bereitschaft, auch kontroverse Standpunkte zu ertragen, tragen dazu bei, den sozialen Zusammenhalt zu bewahren.
Das Toleranz-Paradoxon: Grenzen und Gefahren der Toleranz
Der österreichische Philosoph Karl Popper wies in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ auf das sogenannte Toleranz-Paradoxon hin: Eine Gesellschaft, die zu tolerant ist, riskiert, ihre eigenen Grundlagen zu untergraben, indem sie auch intolerante Positionen zulässt, die die Toleranz selbst gefährden. Dieses Paradoxon mahnt uns, Toleranz nicht als absolute Grenze zu betrachten, sondern als Balance zwischen Offenheit und der Wahrung grundlegender Werte. Eine Gesellschaft, die es schafft, Meinungsvielfalt durch rationalen Diskurs und gegenseitigen Respekt zu fördern, stärkt die soziale Integration und das Miteinander. Toleranz bedeutet nicht, intolerantes Verhalten zu unterstützen oder die eigenen Überzeugungen aufzugeben, sondern vielmehr, die Grenzen der Toleranz in Fällen zu wahren, in denen Menschenrechte oder Gesetze verletzt werden.
Die Grenzen der Toleranz: Eine notwendige Reflexion
Es ist wichtig, sich der Grenzen von Toleranz bewusst zu sein. Intoleranz gegenüber Positionen, die gegen die Menschenrechte oder fundamentale ethische Prinzipien verstoßen, ist gerechtfertigt und notwendig. Wenn die eigene Intoleranz ausschließlich auf persönlichen Überzeugungen basiert, ohne eine universelle Grundlage zu haben, kann dies jedoch problematisch sein. Die Grenzen der Toleranz dürfen nicht auf der individuellen Meinung des Einzelnen beruhen, sondern müssen in universellen Prinzipien und gemeinsamen gesellschaftlichen Werten verankert sein.
Fazit: Die Notwendigkeit des Dialogs
Toleranz ist keine passive Gleichgültigkeit gegenüber anderen Meinungen, sondern ein aktiver, wenn auch oft stiller Prozess, der unser demokratisches Zusammenleben stärkt. Die Bereitschaft zum Diskurs und zur Reflexion ist essentiell, um Toleranz zu bewahren und weiterzuentwickeln. Eine Gesellschaft, in der keine Streitkultur gepflegt wird und in der kein Raum für den offenen Austausch kontroverser Standpunkte besteht, riskiert, in Intoleranz und Spaltung abzugleiten. Der Internationale Tag der Toleranz ist ein Aufruf, nicht nur zu dulden, sondern auch in den Dialog zu treten, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, das die Basis für ein respektvolles und friedliches Miteinander bildet.
Quelle: Europäische Kommission. Luxemburg 1998.